Das Lernen fremder Sprachen bringt eine Menge schöner Dinge mit sich: Man darf neue Kontakte knüpfen und in eine Welt mit anderen Sitten, Gebräuchen und Denkweisen eintauchen, die einen lehren, dass die eigene Welt nur eine von vielen ist, und dass man vermeintliche Tatsachen auf vielerlei Weise interpretieren und deuten kann. Aber die herrlichsten Momente für mich waren und sind immer noch diese wunderbaren Missverständnisse, über die man Jahre später noch herzlich lachen kann. Davon möchte ich berichten.

Ich war etwas über 20 Jahre alt, studierte in Innsbruck und hatte einen der überaus begehrten Praktikumsplätze in einem sehr grossen und renommierten Schweizer Unternehmen ergattert. Ich freute mich wie verrückt: neun Wochen lang wertvolle Erfahrungen sammeln und natürlich mit einer Finanzspritze mein studentisches Budget fürs kommende Semester aufbessern. Ausserdem war dies – obwohl ich in Vorarlberg aufgewachsen war – die erste Gelegenheit, engere Kontakte mit Schweizer Staatsbürgern zu knüpfen, die über einen sehr kurzen Austausch mit der Kassiererin im grenznahen Migros («Es Chundechärtli?» – «Nein») hinausgingen.

Sprache? Kein Problem, wirklich nicht! Im Grossen und Ganzen lief es auch ganz gut, nur zwei Dinge machten mir sehr zu schaffen: Täglich erzählten mir mehrere Arbeitskollegen, dass sie entweder in der Mittagspause oder nach der Arbeit unbedingt noch «poschte» müssten. Andere wiederum vertrauten mir an, dass sie am Vorabend im «Usgang» waren. Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen – schliesslich kannte ich diese Leute doch kaum – und zermarterte mir das Hirn, was in aller Welt es wohl auf der Schweizer Post gab, dass dort alle ständig irgendetwas zu erledigen hatten. Und weshalb gingen alle abends immer in dieselbe Bar namens «Usgang»?

Nach einigen Wochen schliesslich, als ich mich ein wenig eingelebt und die Kollegen besser kennengelernt hatte, fasste ich mir ein Herz. Sabine erzählte mir gerade, dass sie am Vorabend im «Usgang» gewesen sei, da fragte ich sie, ob sie denn Miriam getroffen hätte.

Sabine: «Nein, wo war sie denn?»

Ich: «Sie war auch im Usgang.»

Sabine: «Ja, aber wo?»

Ich (mit Nachdruck – mehr vom selben soll ja helfen): «Im Usgang eben, dort, wo du auch warst.»

Das Gespräch kam ins Stocken. Verständnislose Blicke auf beiden Seiten, angestrengtes Nachdenken, wo in diesem Gespräch wohl der Hund begraben lag. Es gab ein Missverständnis, aber WAS hatten wir falsch verstanden? Für mich war klar: «Usgang» war der Name eines Lokals, für Sabine war genauso klar: «Ich bin im Usgang gsi» bedeutete einfach nur, dass sie ausgegangen war. In irgendein Lokal.
Und was war mit den ständigen Besuchen auf der Post? Als mir eine Kollegin wieder mal erzählte, dass sie «go poschte» gehen müsse, fragte ich sie rundheraus: «Was in aller Welt macht ihr immer alle auf der Post?»

Kollegin: «Wieso auf der Post? Wer geht denn dauernd auf die Post?»

Ich: «Na, alle. Du hast ja auch gerade eben gesagt, du müsstest noch zur Post.»

Schallendes Gelächter und endlich des Rätsels Lösung: Wenn die Schweizer «poschte» gehen, gehen sie einfach nur einkaufen.

Mein Fazit: Grenzübergreifende Praktika erweitern immer den Horizont – auch wenn man eigentlich und angeblich dieselbe Muttersprache spricht wie die Nachbarn. Oder vielleicht gerade dann. Für mich war es eine sehr schöne, lehrreiche Zeit, und sie hat mir unter anderem zentrale Begriffe der Schweizer Sprache nähergebracht. Man lernt ja schliesslich fürs Leben.

Corina Ramsauer