Als mein Sohn mich vor einigen Jahren für das Netzwerk Twitter zu begeistern versuchte, scheiterte er zunächst: Die Mischung aus Links, Katzenbildern und Befindlichkeiten interessierte mich zu wenig. Trotzdem erstellte ich einen Account. Es braucht dazu schliesslich nur ein Profilbild sowie einen Namen, und das Ganze ist in wenigen Minuten erledigt.
Erst ein knappes Jahr später schaute ich mir Twitter noch einmal genauer an. In der Zwischenzeit hatte ich zu meinem Erstaunen sogar erste Follower gewonnen, obwohl ich noch gar nichts geschrieben hatte. Nun gut, bei den ersten beiden handelte es sich um italienische Akkordeonfirmen, die mir wohl einzig wegen meines Twitternamens @akkordeonistin gefolgt waren. Zwei weitere Follower waren mir vielleicht aus Mitleid gefolgt, aber das wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Auch wenn mir nach wie vor nicht klar war, warum sich die Welt für eine Nachricht von mir interessieren sollte, schrieb ich im Frühling 2012 meinen ersten Tweet:
«Die Sonne dringt selbst durch die blindesten Fensterscheiben, und nie kam der Staub auf den Büchern schöner zur Geltung: Der Frühling ist da.»
Kurz darauf favte (likte) auch schon jemand meinen Tweet. Dieser Twitterer ist mir übrigens bis heute treu geblieben und hat mir – indem er regelmässig Tweets von mir retweetete (mit seinen Followern teilte) – meine ersten paar Dutzend Leser und Leserinnen beschert.
Im Grunde genommen muss man nur wenige Schritte kennen, um bei Twitter loszulegen.
- Wie man einen Account erstellt
- Wie man einen Tweet versendet
- Wie man jemandem folgt (ihn abonniert) und bei Bedarf wieder entfolgt
- Wie man einen Tweet retweetet
Warum ich nach meinem anfänglichen Desinteresse mit der Zeit sogar zur begeisterten Twitterin wurde, hat verschiedene Gründe. Zum einen bin ich durch Twitter auf Menschen gestossen, die ähnliche Interessen oder denselben Humor haben und die ich sonst vermutlich nicht kennengelernt hätte. Mit einigen von ihnen habe ich mich im Laufe der Jahre getroffen, und es sind wichtige und unverzichtbare Freundschaften daraus entstanden. Ein anderer Grund liegt darin, dass ich Twitter als sehr direktes Medium erlebe, und zwar in dem Sinne, dass man relativ unkompliziert mit Menschen kommunizieren kann, mit denen man im «realen Leben» nicht so einfach ins Gespräch käme – vielleicht wegen zu grosser räumlicher Distanz, vielleicht aber auch, weil es weder privat noch geschäftlich Schnittpunkte mit ihnen gibt. Man kann sich über Twitter auch sehr rasch informieren, und ich halte Twitter nach wie vor für das schnellste Medium überhaupt. Und nicht zuletzt hat Twitter mir persönlich einige Türen geöffnet: Da meine Followerzahl in den letzten Jahren stetig anstieg (mittlerweile sind es etwa 12 300), habe ich eine recht grosse Reichweite erlangt. Ich habe mich darauf verlegt, Gedanken und Beobachtungen zu twittern, und eines Tages stiess ein kleiner Einfrauverlag aus Berlin darauf und beschloss, ein Buch aus meinen Tweets zu machen. Das Buch wiederum hat mir einige Publizität gebracht, sodass ich in letzter Zeit auf einmal zu Lesungen in Berlin, Frankfurt und Zürich eingeladen wurde. Ich habe verschiedenen grösseren Zeitungen in der Schweiz und in Deutschland sowie zwei Radiosendern Interviews gegeben, und es ist sehr spannend, auf diese Weise auch einen Einblick in die Medienwelt und ihre Gesetzmässigkeiten zu erhalten.
Natürlich hatte ich auch viel Glück, dass meine «Twittergeschichte» so rund verlief. Denn es gibt auch viel Unerfreuliches in diesem Netzwerk – wie natürlich überall. Hin und wieder stosse ich auf einen Kreis von Twitterern, von dem ich lieber nicht einmal gewusst hätte, dass es ihn gibt. Einiges bewegt sich hart an der Legalitätsgrenze – und leider zeigt es oft keine Wirkung, wenn man solche Accounts bei Twitter meldet. Ganz generell hat eine gewisse Verrohung stattgefunden, und einige gehen sehr unzimperlich miteinander um. Nun ist aber ein solches Netzwerk nicht besser oder schlechter als die Menschheit es ist. Deshalb darf es auch nicht verwundern, dass es diese Seiten gibt. Dazu kommt, dass Twitter erst seit zehn Jahren existiert. Wenn man bedenkt, dass die Mühlen der Politik oder der Justiz oft langsam mahlen und wie rasant sich der Bereich Social Media entwickelt hat, kann man sich vorstellen, dass die Gesetzgebung noch etwas hinterherhinkt. Ich lasse mir aber die Freude am Twittern nicht nehmen. Ich versuche, die ganze Sache auch immer mit der nötigen Distanz und einem Augenzwinkern zu betrachten – beispielsweise, wenn ich in Dialogform beschreibe, wie ich jemanden von Twitter überzeugen will:
«Weisst du, auf Twitter sind viele Schriftsteller, Journalisten, Künstler, Intellektuelle.» – «Und was schreiben die so?» – «Guten Morgen.»
Claudia Vamvas-Badertscher, Deutschteam