Einen Text kürzen stellt Autoren wie Lektoren oft vor eine schwierige Aufgabe. Egal, ob es rein formal die Zeichenanzahl betrifft, die nicht ins Format passt, ob das Erzähltempo durch Streichungen erhöht oder der Inhalt akzentuiert werden soll: Es gilt, sich von Geschriebenem zu trennen. Das kann schmerzhaft sein. Aber auch bereichernd.
Redaktion = Reduktion?
Einen Text kürzen bedeutet Streichungen vornehmen. Das ist eine Binsenweisheit. Dennoch: Kümmern wir uns an dieser Stelle einmal nicht um die schmerzhafte Wehmut des elegischen Autors, der sich womöglich all seiner ach so wohlgesetzten Worte, seiner fein gewählten und ausschweifend gereihten, adjektivisch bildhaften Beschreibungen und aussageausrufenden Vergleiche, mehr noch seiner ziselierten Sprachakrobatik aufs Grausamste beraubt sieht, dann haben wir als «Wortabschneider» die Chance, Texte zu verdichten, das Wesentliche ihres Inhalts hervorzuheben, sie spannend und kurzweilig zu gestalten, um so selbst den lesefaulsten Adressaten zu erreichen. Punktum. Fangen wir doch gleich bei dem Text von eben an:
Einen Text kürzen, Schnitt für Schnitt
Texte unterscheiden sich in Form und Stil. Und da jeder Text seine eigenen Absichten und Ziele verfolgt, bedarf es unterschiedlicher sprachlicher und formaler Mittel. Deshalb gibt es keine stets gültigen Regeln für den «kurzen Prozess», aber dennoch ein paar Tipps, die es zu beachten lohnt.
Der Grobschnitt
• Lesen Sie sich den gesamten Text zunächst in Ruhe durch und überlegen Sie, was zur Kernaussage gehört. Fallen Ihnen jetzt schon Abschnitte auf, die vom Thema ablenken und das Hauptargument verunklären, streichen Sie diese getrost. Denn am effektivsten kürzt es sich im grossen Stil.
• Ausschweifende Einleitungen dämpfen das Interesse des Lesers. Weg damit oder stark kürzen. Gleich zur Sache zu kommen, unterstreicht die Notwendigkeit der Information und Argumentation und erhöht die Aufmerksamkeit des Lesers.
• Ebenso überflüssig sind Schlusssätze oder -formeln à la «Ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Gedanken haben folgen können». Das prägnant formulierte Fazit oder die Aussicht auf eine Fortsetzung des Artikels wecken Neugier, geben Denkanstösse und sind in jedem Fall das überzeugendere Finale.
Der Feinschnitt
• Einen Punkt machen
Die Zauberformel gegen zu lange Sätze? Zusätzlich zum Kürzen einfach mal einen Punkt setzen und prüfen, ob auf die Information in Nebensätzen verzichtet werden kann. Auch Absätze und Zwischenüberschriften strukturieren die Bleiwüste und sorgen für mehr Überblick.
• Füllsel ade
Falls eine nur geringe Anzahl an Zeichen gekürzt werden muss, durchforstet man den Text nach sogenannten Füllwörtern. Das sind Wörter von geringem Aussagewert, die dem Text inhaltlich nichts und sprachlich wenig bringen. Darunter fallen Wörter wie: allerdings, anscheinend, ausserdem, bloss, eigentlich, einfach, endlich, fraglos, gewissermassen, im Prinzip, infolgedessen, ja, mehr oder weniger, mutmasslich, nahezu, nichtsdestoweniger, noch, noch dazu, nun, quasi, selbstverständlich, so, sozusagen, tatsächlich, wahrscheinlich, wieder, zweifelsohne
• Modal, total egal?
Die Modalverben wie können, sollen, wollen, müssen, mögen, dürfen relativieren Sachverhalte, lassen Texte oft unscharf und unentschieden wirken und verlängern Sätze unnötig. Statt «Wir möchten Sie gerne einladen» wirkt «Wir laden Sie ein» direkter auf den Leser, und der Kunde wird anstelle eines «Mit dem Programm können Sie sofort durchstarten» durch ein «Mit dem Programm starten Sie sofort durch» deutlich positiver motiviert.
• Hätte, hätte, Fahrradkette
Ähnlich wie Modalverben schwächt der Konjunktiv die Aussage, schmälert die Kraft der Botschaft oder verklausuliert sie im schlimmsten Fall. Statt «Ich möchte Ihnen danken» oder «Es würde uns freuen» klingen «Ich danke Ihnen», «Es freut uns» offensiver und lesernäher.
• Gnadenlos
Keine Gnade gegenüber Passivkonstruktionen! Denn für Sätze im Aktiv werden weniger Wörter gebraucht. Oder kürzer: Aktivsätze brauchen weniger Wörter. Auch gegen Substantivreihungen wie «Die Rede zur Begrüssung der ausserordentlichen Versammlung der Aktionäre der XY AG wurde vom Vorsitzenden Herrn Z. zum Vortrag gebracht» gilt es vorzugehen. «Dr. Z. begrüsste die Aktionäre» reicht allemal – oder man streicht diese unter Umständen unwichtige Information ganz.
• Fakten bündeln
Prüfen Sie den Text auf gereihte Informationen, die sich stichwortartig in einer Factbox, Liste oder Tabelle zusammenfassen lassen, zum Beispiel Produktfeatures oder Adressen. Damit erscheinen sie dem Leser übersichtlich und sind einfach zu finden.
• Bilder sprechen lassen
Beschreibungen von Produkten oder Anlässen lassen sich aussagestark durch Bilder ersetzen. So spart man beispielsweise technische Erläuterungen, oder man nutzt die Bildunterschrift für Namenslisten, die im Haupttext nicht nochmals erwähnt werden müssen.
• Kürzen, bis es wehtut
Den eigenen Text kürzen, bis es einem das Herz bricht? Bitten Sie Kollegen oder Freunde darum, mit ihren wilden Texttrieben kurzen Prozess zu machen, denn sie gehen mit Distanz und weniger Emotion ans Werk.
«Less ist more» versus «Less is a bore»: Tendenziöses Fazit
Will man den Marketingabteilungen grosser Verlage glauben, haben literarische Publikumserfolge meist prägnante, mager buchstabierte Titel, wie etwa Stephen Kings «Es» oder, noch minimalistischer, «F» von Daniel Kehlmann. Titel wie «Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind» von Jonas Jonasson oder Selim Özdogans Roman «Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist» fanden aber genauso auf die Bestsellerliste und zu begeisterten Lesern. Und auch unterhalb der Headline darf nicht um jeden Preis gekürzt und geknapst werden. Beispiele, Storytelling und Originalzitate machen Texte interessant und prägen sich den Lesern ein, sogenannte Füllwörter bestimmen den Textfluss, färben ihn emotional und schaffen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Textteilen. Deshalb wird bestimmt auch der gnadenloseste Effektivleser einem flüssig lesbaren und rhythmisch schön gesetzten Text mit unterhaltsamen Aperçus jedes Bleiberecht gewähren. Und falls nicht? Dann spreche ich mit Goethe: Eines schickt sich [eben] nicht für alle[s].*
Christine Traber, Team Deutsch
* Johann Wolfgang von Goethe, Beherzigung
Eines schickt sich nicht für alle.
Sehe jeder, wie er’s treibe,
sehe jeder, wo er bleibe,
und wer steht, daß er nicht falle!